Ein Plädoyer für das Journalistik-Studium und eine Antwort an die ehemalige Bild-Chefin Tanit Koch

Ein Plädoyer für das Journalistik-Studium und eine Antwort an die ehemalige Bild-Chefin Tanit Koch

Vor nicht gar zu langer Zeit war der Weg in die Medien ein sicherer Holzweg. Holzweg, weil Journalismus oft „on the job“ in der Redaktion eines Printmediums erlernt wurde. Sicher, weil der dahinterstehende Verlag den Volontär nach Ende der Ausbildung in der Regel übernahm. Mit dem Redakteursvertrag in der Tasche war der Arbeitsplatz sicher, der Karriereweg eingeschlagen. Auch heute ist ein Volontariat  ein etablierter Weg in den Beruf, ein gutes Journalistik-Studium kann dies ebenso leisten – und mehr. 

Mit der fortschreitenden Professionalisierung des Journalismus und dem Aufkommen der Journalistik als wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Berufsfeld entstand nach angloamerikanischem Vorbild an einigen deutschen Universitäten in den 1970er und 1980er Jahren eine Ausbildungsalternative. Eine nachfrageorientierte Entwicklung. Der Zeitschriftenmarkt boomte, der duale Rundfunk entstand und auch der 24-Stunden-Sendebetrieb. Die Journalistik-Studiengänge sind aber auch angetreten, um sich vom ideologischen Ballast und einer „Lagerpublizistik“ zu befreien, Qualitätsstandards zu schaffen über die eigenen intramedialen Grenzen hinweg, orientiert an internationalen Standards. Gleichwohl waren natürlich auch die Nestoren der Studiengänge alles andere als unpolitische Wesen. 

Journalismus war nun kein reines Handwerk mehr, sondern hatte akademische Ansprüche. Damit ging auch die bis heute immer mal wieder aufkeimende Frage einher, ob Journalismus überhaupt wissenschaftlichen Ansprüchen standhalten kann. Gibt es doch bis heute nicht mal eine eigene Supertheorie, und oft genug müssen Jürgen Habermas und Niklas Luhmann als Säulenheilige herhalten. Doch ist dies wirklich ein Manko? Journalistik ist keine hermetisch abgeriegelte Disziplin, sondern muss sich gerade auf Grund unterschiedlicher Funktionen und der Multiperspektivität der Ansätze diverser Subsysteme bedienen, um den Erkenntnisfortschritt voranzutreiben. 

Journalistik ist mehr als Journalismus. Es geht um das Verstehen des „Wie“ und „Warums“, den Blick hinter den zweiten Vorhang, um nicht nur das Handwerk bestmöglich umzusetzen, sondern weiterzuentwickeln, Strukturen, Prozesse und Abläufe zu verbessern, die DNA der Medien- und Nutzerlogik zu begreifen und daraus Neues zu entwickeln. Also eine praxisnahe und zugleich wissenschaftlich fundierte Ausbildung. Doch passt das vielleicht eher an Fachhochschulen? Der Auf- und Ausbau dieses Sektors, einhergehend mit einem neuenFunktions- und Aufgabenspektrum bot der Journalistik zweifelsohne eine neue, zusätzliche, ja: dankenswerte Heimstatt.

(Quelle: https://orange.handelsblatt.com/artikel/44954)

Tanit Koch, 2016-2018 Chefredakteurin der „Bild“ im Interview mit „Orange“.

Aber: Die Wege in das Berufsfeld sind heute so unterschiedlich wie der Beruf selbst, für den es nach wie vor keine Zugangsbeschränkungen gibt. Ebensowenig den Königsweg. Fragt man Praktiker nach dem besten Weg, beschreiben sie häufig den von ihnen eingeschlagenen. Logisch, sie kennen ja auch die Alternativen nicht aus eigener Erfahrung. So lässt sich vielleicht auch das Statement von Tanit Koch, von 2016 bis 2018 Chefredakteurin der Boulevardzeitung „Bild“, erklären. Sie selbst durchlief als Volontärin die Axel-Springer-Akademie sowie die Ressorts Wirtschaft und Politik der „Bild“. In einem Video-Interview mit dem „Handelsblatt“-Ableger „Orange“ sagte sie auf die Frage nach dem besten Zugang in den Journalismus: „Was ich immer nur raten kann, ist nicht Journalismus zu studieren, vor allem diese kostenpflichtigen Studiengänge.“ 

Hier lohnt es meiner Meinung nach zu differenzieren, statt zu pauschalisieren (wie es der Boulevard ja gerne tut). Zu betrachten sind zunächst die persönlichen Interessen, das Know-How und die Begabungen des Interessenten (ob Berufsein- oder ‑umsteiger). Möchte er nach klassischer Manier Recherchieren und Schreiben, Informieren, Darlegen, Einordnen und Bewerten? Sind ihm Darstellungsformen, Präsentationslogiken und Tools zur Recherche und multimedialen Umsetzung schon in der Praxis vertraut? Interessiert ihn nicht nur das Aufspüren, Wahrnehmen und Selektieren von Themen, die Aufbereitung und Präsentation, sondern möchte er die Wirkungsmechanismen der Medien auf Mikro-, Meso- und Makroebene begreifen und sich Möglichkeiten in dieser von rasanter Veränderung geprägten Branche offenhalten? 

Dafür braucht es nicht unbedingt eine Reise ins Silicon Valley (wie es seinerzeit der „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann tat). Das Angebot der Kommunikations- und Medienwissenschaft, Publizistik und Journalistik ist breit aufgestellt. Es lohnt der Blick in die Curricula einzelner Hochschulen (ob Bachelor oder Master, grundständiges Studium oder berufsbegleitender Weiterbildungsstudiengang), um den Anteil von Theorie und Praxis zu identifizieren, Schwerpunkte und Spezifikationen zu erkennen. Denn „den Journalismus“ gibt es schon lange nicht mehr.

Die Anforderungen an Journalisten haben sich ausgehend von der Digitalisierung, Konzentrationen und Marktverschiebungen gewandelt. Und wir stehen erst am Anfang dieses Prozesses, der von manchen gern als „Revolution“ und „Gutenberg 2.0“ umschrieben wird. Umso wichtiger wird lebenslanges Lernen. Ich selbst habe mein Journalistik-Studium 2006 abgeschlossen. Ein tolles Studium, das mich Handwerk, wissenschaftliches Arbeiten, Reflexion über das eigene Tun und über Medien gelehrt hat. Nur auf die digitalen Anforderungen hat es mich nicht vorbereitet. Der „Werkzeugkasten“ der Nuller-Jahre ist heute nur noch bedingt so einsetzbar, aber ein gutes Rüstzeug zweifelsohne.

Durch das Journalistik-Studium standen mir aber viele Türen offen, die mich vom klassischen Journalismus bei regionalen und überregionalen Zeitungen und der Nachrichtenagentur dpa in die Public Relations brachten. Nach einer Führungsposition nutzte ich die Chance für den Wechsel in die Wissenschaft – aber auch weiterhin und bis heute mit engem Praxisbezug. Drei „i“ prägen heute meinen Alltag: interdisziplinär, international, interaktiv. Ohne ein Studium wäre dies nicht möglich gewesen. 

Doch auch wer zunächst den handwerklichen Weg über das Volo einschlägt, dem ist der Weg an die Hochschule nicht verwehrt. Die Absolventen des berufsbegleitenden Masterstudiengangs New Media Journalism an der Leipzig School of Media sind dafür seit mehr als zehn Jahren beredtes Zeugnis. Aus unterschiedlichen Mediensparten und benachbarten Branchen haben sie das Ziel, die Herausforderungen des Medienwandels anzupacken. Mit dem Wissensgewinn im Gepäck haben sich alle beruflich weiterentwickelt, ihre Nischen gefunden, Geschäftsmodelle entwickelt. Und viele haben auch wieder Lust bekommen auf den Journalismus, den sie in der Praxis oft vermissten. Dank erfahrener Praktiker und anwendungsorientierter Wissenschaftler als Dozenten sind sie mit einem international anerkannten Masterabschluss einer renommierten Universität reif für die Herausforderungen der Branche – und fit in New Media Journalism.

(Eine gekürzte Fassung des Beitrages findet sich auf der Website von New Media Journalism. Dr. Tobias D. Höhn war Pressesprecher der Universität Leipzig, schrieb u.a. für „Die Zeit“ und ist als Studiengangsverantwortlicher des Masterprogramms New Media Journalism und als Dozent seit vielen Jahren an der Leipzig School of Media sowie anderen Hochschulen tätig.)

(Titelfoto: ©bramgino – stock.adobe.com)