Diplomarbeit

Die im Herbst 2005 an der Universität Leipzig vorgelegte und im Februar 2006 verteidigte Diplomarbeit »Schnittstelle Nachrichtenagentur und Public Relations – am Beispiel der Deutschen Presse-Agentur (dpa)« hat kontroverse Debatten ausgelöst. Nachfolgend eine kurze Zusammenschau einiger Ergebnisse. Aus Gründen der Lesbarkeit wurden die Literaturverweise bereinigt.

PR – wichtige Größe im Informationsfluss

Während das (Spannungs-)Verhältnis von Public Relations und Journalismus in der Wissenschaft kontrovers diskutiert wird, wächst in der Praxis der Einfluss der Öffentlichkeitsarbeit auf die Berichterstattung zusehends. Dies belegen auch eine Leipziger Studie zur zunehmenden Dominanz versteckter PR in regionalen Tageszeitungen und die jüngsten Recherchen des Fachdienstes epd Medien zur Schleichwerbung bei Fiktionalem im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.

Auch für Nachrichtenagenturen als Multiplikatoren im massenmedialen Prozess ist die Öffentlichkeitsarbeit längst zu einer der wichtigsten Informationsquellen geworden, wie vorliegende Untersuchung bestätigt. Obwohl von den eingegangenen PR-Texten nur knapp 17 Prozent berücksichtigt wurden, wurde damit mehr als die Hälfte der Berichterstattung bestritten. Der auf den ersten Blick intensiv ausgeprägten Induktion des PR-Apparates steht die nicht weniger ausgeprägte Induktion des journalistischen Systems durch Selektion gegenüber. Werden in PR-Texten journalistische Qualitätskriterien bezüglich Aufbau, Inhalt und Formulierung erfüllt, haben diese eine höhere Chancen zur Veröffentlichung. Der Umfang hingegen spielt zunächst keine Rolle.

Die Induktion der Öffentlichkeitsarbeit setzt sich jedoch fort. Sobald die Hürde der Selektion genommen ist, besitzt eine einmal ausgewählte PR-Mitteilung sehr gute Chancen, mit dem Tenor Intention des Absenders in den dpa-Dienst zu gelangen. In gut 87 Prozent der Fälle wurde die Kernaussage der PR-Vorlage übernommen. Dies gilt nicht wie oft angenommen nur für Pressebulletins aus Ministerien, Behörden und Polizeistellen, sondern auch für Unternehmen, Kulturinstitutionen, Medien, Parteien und Verbände.

Hoher Vertrauensbonus in PR-Lieferanten

Die größte Bearbeitungsleistung bewiesen Redakteure, Volontäre und Pauschalisten in textformaler Hinsicht, wenn es um das Herausfiltern von Wertungen, die Anpassung des Textes an den Nachrichten-Aufbau und das Verdichten komplexer Darstellungen ging. Überraschend war dabei der hohe Anteil, bei dem sich die Journalisten allein auf das vorliegende Material stützten, ohne weitere Quellen zu erschließen. Dies hängt keineswegs von der redaktionsgerechten Aufbereitung des angebotenen Materials ab, denn die Adaptionsleistungen der PR-Akteure an journalistische Regeln sind verschieden intensiv ausgeprägt. Die journalistische Qualität bezüglich Aufbau und Verständlichkeit ist zwar ein Entscheidungsfaktor bei der Selektionsentscheidung – so wurden sehr schlecht aufgebaute PR-Texte in lediglich rund 7 Prozent verwendet, sehr gute hingegen in knapp 36 Prozent der Fälle –, doch ist sie keineswegs ausschlaggebend dafür, ob eine weitere Recherche erfolgte oder nicht. Diese Entscheidung muss andere Gründe haben und kann zum Beispiel absenderbedingt ausfallen. Der Vertrauensbonus bei Material von politischen Institutionen des Landes ist überdurchschnittlich hoch. Lediglich in jedem fünften Fall wurde hier nachrecherchiert. Meist handelte es sich bei den Ergänzungen jedoch um Nachfragen beim Absender des Materials oder den Blick in das interne Textarchiv zum besseren Verständnis. Eine wirkliche Erweiterung der Quellenbasis und

Kreuzrecherchen blieben die Ausnahme. Stattdessen wurde der Eindruck erweckt, als bauten die Journalisten auf die professionelle PR-Maschinerie: Die durch ein Fax angestoßene Berichterstattung über eine Partei, zog mitunter Stellungnahmen weiterer Interessengruppen nach sich, was die Journalisten zu weiterer Berichterstattung veranlasste und eine Art Pingpong-Spiel auslöste. Obwohl viele Statements ohne einen der zu untersuchenden Nachrichtenfaktoren auskamen, hinderte dies nicht an der Publikation. Dass die Oppositionspartei beispielsweise einen Vorschlag der Regierung »scharf kritisiert« oder »verurteilt« versteht sich nahezu von selbst und gleicht einer »Nullmeldung«. Der umgekehrte Fall hingegen wäre eine Nachricht wert.

PR ist nicht gleich PR, oder?

Die Verwendung von Public Relations ist per se keineswegs verwerflich, sondern der Fokus der Betrachtung muss auf dem Umgang mit dieser liegen. Dient die Publikation nur der Selbstdarstellung von Firmen, Einrichtungen oder einzelnen Personen, hat dies wenig mit journalistischer Arbeit zu tun. Dass Journalisten größtenteils auf weitere Recherchen verzichteten und den vorliegenden PR-Text als alleinige Quelle nahmen, mag auch damit zusammenhängen, dass viele eine sehr eng gefasste Auffassung von PR haben und dies häufig mit Produktwerbung gleichsetzen. Immer wieder entgegneten die dpa-Mitarbeiter während der Feldphase, Presseerklärungen aus Ministerien, Mitteilungen von Verwaltungseinrichtungen und Statements von Parteien seien keine PR-Dokumente. Doch auch Presse- und Informationsstellen von Bund, Ländern und Gemeinden, Behörden, Parteien und Verbänden stellen journalistische Themen bereit und agieren im Dienst ihres Auftraggebers – auch, wenn sicherlich zwischen interessengeleiteter und neutraler Vermittlungsfunktion unterschieden werden muss.

Trotz der routinierten Verwendung von PR-Material sieht sich knapp die Hälfte der befragten Agenturjournalisten (in Anlehnung an die Münsteraner Studie »Journalismus in Deutschland«) als Antikritiker. Das heißt, sie stehen der Öffentlichkeitsarbeit zwar grundsätzlich positiv gegenüber, zeigen dies aber lediglich, indem sie die PR-Arbeit ausdrücklich gegen ihre Kritiker in Schutz nehmen. Nach Ansicht der PR-Antikritiker ist PR weder überflüssig, noch verführt sie zu unkritischer Berichterstattung oder ersetzt die Recherche. Aber genau ist geschehen.

Im Vergleich mit vorigen Studien überrascht der Anteil PR-induzierter Agenturberichterstattung kaum. Schon vor zwei Jahrzehnten lag der Anteil der auf Pressemitteilungen zurückgehenden landespolitischen Texte im dpa-Landesdienst Nordrhein-Westfalen bei 47 Prozent, weitere 16 Prozent gingen auf Pressekonferenzen zurück.

Bei vorliegender Untersuchung wurde ein Wert von PR-induzierter Politikberichterstattung von 60 Prozent gemessen (im Landeshauptstadtbüro lag er bei gut 52 Prozent, im Aussenbüro Bielefeld bei 100 Prozent), hinzu kommen durch Medienberichte aufgegriffene Themen, von der Redaktion aus telefonisch wahrgenommene, so genannte »kalte« Termine, so dass die Terminberichterstattung vor Ort noch 30 Prozent ausmacht. Die Werte in den anderen untersuchten Landesdiensten sind ähnlich. Auch Meißner, die Induktions- und Adaptionsleistungen von PR und Journalismus jedoch nur am Beispiel des Dresdner dpa-Büros untersucht hatte, kam auf ähnliche Werte wie vorliegende Arbeit.

Keine Schleichwerbung

Die Zeitspanne zwischen dem Eintreffen des PR-Materials in der Redaktion, der Verarbeitung und Sendung durch dpa, das in knapp 96 Prozent der Fälle noch am gleichen Tag geschieht, bestätigte bisherige Studien. Vier von fünf PR-Texten wurden innerhalb von drei Stunden »umgeschlagen«, was eine intensiv ausgeprägte zeitliche Induktion und Determinierung des PR-Apparates erkennen lässt.

Die augenscheinliche Dominanz der Öffentlichkeitsarbeit mag manchen überraschen, doch ist sie die logische Konsequenz aus dem Selbstverständnis der Agentur. In Art. 5 Abs. 1 des Gesellschaftervertrages heißt es: »Gegenstand des Unternehmen ist die Sammlung, Verarbeitung und Verbreitung von Nachrichten-, Archiv- und Bildmaterial aller Art.« Trotz eines dichten Korrespondentennetzes ist dies auf Grund der Themenbreite und der selbst auferlegten Chronistenpflicht ohne die Zulieferung aus der PR-Branche nicht zu leisten, auch weil die personell immer schlechter ausgestatteten Redaktionen von Print- und Funkmedien auf das breite Angebot der Agenturen bauen, um selbst selektieren zu können. Dabei filtern die Nachrichtenagenturen bereits nach Relevanzkriterien. Immerhin wurden mehr als vier Fünftel des eingehenden PR-Materials nicht berücksichtigt, was einer starken journalistischen Induktion gleichkommt. Besonders hoch lag die Induktionsrate im wirtschaftlichen Bereich mit 81 Prozent und bei der Bundes-, Landes- und internationalen Politik mit 87 Prozent. Einzelne Absender aus der Landespolitik (Ministerien, Landesregierung und Abgeordnete) zählten dennoch zu den erfolgreichsten überhaupt, was sich durch den Publikationsort Landesdienst erklären lässt. Anders als in vielen Tageszeitungen, bei denen der Anteil PR-basierter Texte von 2000 bis 2004 deutlich anstieg, handelte es sich bei den dpa-Texten keineswegs um Schleichwerbung oder Product-Placements in nachrichtlichem Gewand unter dem Deckmantel der Objektivität. Von den zehn zur Berichterstattung verwendeten reinen Werbetexten wurde zwar die Kernaussage meist weitgehend übernommen, doch nur in einem einzigen Fall wurden auch die Werbebotschaften im Indikativ transportiert.

Was interessiert den Leser?

An dieser Stelle muss auch hier die Frage nach der Perspektive gestellt werden, denn die Sicht der Regierenden und der Regierten beispielsweise divergiert zuweilen deutlich. Was interessiert die Leser als Endkonsumenten mehr: die Zustimmung des Landesparlaments zu einer von der Regierungspartei eingebrachten Vorlage oder deren Auswirkungen auf den Alltag des einzelnen Bürgers? Deshalb sollte neben der Prüfung der Richtigkeit einer Meldung, auch stets deren Wichtigkeit geprüft werden.

Die Kompetenz der Agenturen muss folgerichtig auch auf der Gewichtung und Einordnung fern der Kommentierungsfunktion liegen. Obwohl das Nachrichtenschreiben qua Definition im Sekundentakt erfolgt, wie Agenturkenner Peter Zschunke sein Standardwerk betitelte, befreit dies nicht von der Recherchepflicht – auch wenn viele Journalisten in der Befragung das Ausbleiben von Recherche mit dem hohen Zeitdruck und der immer dünner werdenden Personaldecke rechtfertigten. Die Besetzung der untersuchten sechs Büros in drei Bundesländern wurde bewusst nicht in die Untersuchung einbezogen, da die Fragestellung auf die Überprüfung standardisierter Qualitätskriterien abzielte. Der Umgang mit Public Relations ist, wie gezeigt wurde, eine Frage der grundsätzlichen journalistischen Arbeitseinstellung. Ist das Vertrauen in die Werbung zu hoch, wirkt sich dies unmittelbar und mittelbar auf die Grundhaltung des Journalisten aus und demontiert damit langfristig die Glaubwürdigkeit der Gattung Nachrichtenagenturen. Während sich die PR-Profis und die mit ihnen arbeitenden Experten in der Regel jahre- und jahrzehntelang mit derselben Materie befassen, arbeiten Nachrichtenagenturjournalisten meist als Generalisten, die sich schneller als alle anderen Journalisten neue Themengebiete erschließen müssen. Nachdenklich stimmt, dass verwendetes PR-Material in jedem vierten Beitrag als eigene Rechercheleistung ausgegeben wird, indem der Ursprung verschleiert wird.

Ausblick und Anknüpfungspunkte

Vorliegende Arbeit bietet eine Referenzgröße und Ausgangsbasis für die weitere Erforschung der Nachrichtenagenturen nach dem Scheitelpunkt der Medienkrise zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Seit den wenigen großen Studien zur Schnittstelle PR und Nachrichtenagenturjournalismus hat sich die Landschaft grundlegend geändert. Neue Telekommunikationsmittel und das Internet erlauben jedermann eine schnelle, flächendeckende Verbreitung von Informationen, unbesehen von der Frage der Richtigkeit und Glaubwürdigkeit.

Eine Fortsetzung der Forschungsarbeit böte sich auf der Mesoebene der Agenturen an. Besonders das differenzierte Zusammenspiel von Einflüssen und Abhängigkeiten der PR auf den Deutschen Depeschen Dienst GmbH (ddp), der auch seine Nachrichten in den hier untersuchten Ressorts und in Landesdiensten verbreitet, aber personell wesentlich schlechter aufgestellt ist, wäre für eine vergleichende Studie von Interesse. Dabei geht es um die Frage, ob ein kleinerer Marktmitbewerber noch eher auf PR-Material zurückgreift oder dieses Feld bewusst den größeren überlässt und stattdessen (Recherche-)Nischen sucht und nutzt. Aber auch ein Vergleich der Übernahmequoten von PR-induzierten Texten der Landesdienste in den Basisdienst der dpa mit den national verbreiteten Diensten von AP, AFP, Reuters und ddp könnte Aufschluss über die Bedeutung der Öffentlichkeitsarbeit liefern und helfen, Handlungsroutinen zu überdenken und zu verbessern. Auf der Makroebene ließe sich der Umgang der Agenturkunden (vor allem von Zeitungen) mit der PR-induzierten Berichterstattung der Nachrichtenagenturen untersuchen und so ein Vergleichsbild zu älteren, ähnlich angelegten Studien zeichnen.

Medienecho

Die Resonanz auf die Diplomarbeit »Schnittstelle Nachrichtenagentur und Public Relations – am Beispiel der Deutschen Presse-Agentur (dpa)« war groß. Nachfolgend eine kleine Auswahl der Pressestimmen.

Das Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« griff in der Ausgabe 40/2006 das Thema unter der Überschrift »Gesteuerte Flut auf«. Darin heißt es:

PR-Strategen und Journalisten kommen sich immer näher. Aus den Gegnern von gestern sind vielfach „Medienpartner“ geworden. Eine Studie zeigt: Selbst die dpa, die größte Nachrichtenagentur des Landes, ist vom PR-Einfluss nicht mehr frei.

Der komplette Beitrag von »Spiegel«-Autor Nils Klawitter findet sich hier zum Download.

Bayern 5-Beitrag

»Das Medienmagazin« des Bayerischen Rundfunks B5 beleuchtete »den manchmal zu großen PR-Einfluss« bei Deutschlands größter Nachrichtenagentur. Im Interview mit Reporterin Vera Linß räumte auch die dpa-Chefredaktion Fehler ein, auch wenn man den Tenor der Arbeit nicht teile.

RBB-Beitrag

Der Rundfunk Berlin Brandenburg (RBB) berichtete im »Medienmagazin« von Radioeins über die Diplomarbeit und konfrontierte damit die dpa-Chefredaktion. Trotz aller Kritik an den Ergebnissen, räumte Michael Ludewig von der dpa-Chefredaktion ein, dass die Arbeit für die Qualitätsverbesserung der dpa »sehr sehr hilfreich« sei.

Und auch die ver.di-Zeitschrift »M – Menschen Machen Medien« nahmen sich in einer Analyse des Themas an. Der Beitrag aus der Ausgabe 9/2006 findet sich hier zum Nachlesen.

Und auch die ver.di-Zeitschrift »M – Menschen Machen Medien« nahmen sich in einer Analyse des Themas an. Der Beitrag aus der Ausgabe 9/2006 findet sich hier zum Nachlesen.