Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Eine Gegenrede

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Eine Gegenrede

„Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.“ Wirklich? Nein, natürlich nicht. Da ist zum Beispiel dieses Babylächlen und in der nächsten Sekunde dieser inbrünstige Schrei mit verzerrtem Gesicht. „Was hat es bloß? Wenn es doch nur etwas sagen könnte.“ Monate später folgen die ersten Krabbelversuche, dann kommen die ersten Schritte. Doch das Kind bleibt stumm. Irgendwie hört sich alles an wie „Blubb“ aus der TV-Spinat-Werbung der 1990er Jahre. Und wenn sich alle freuen, dass das Kind nun endlich läuft, denke ich mir: „Wenn es doch nur mit mir reden würde.“ Es folgen erste Worte, Zwei-Wort-Sätze („War das?“), Drei-Wort-Sätze („Ich möchte nicht“) und alsbald die Diagnose „Logorrhö“. Der beste Indikator dafür ist, dass Sätze stets mit einem „Warum“ beginnen. Jahre später soll eine Schweigephase beginnen, Teenagerzeitalter nennt man das. Aber das kenne ich bislang nur vom Hörensagen. 

Vor Urzeiten stand auf meiner Website mal der Satz „Reden ist Silber, Schreiben ist Gold“. Das waren die so genannten Nuller-Jahre. Und ich war davon überzeugt, dass das Internet ein tolles Ding ist, um E-Mails zu verschicken, Newsgroups zu lesen und im Internet zu surfen und Gratis-Schriften herunterzuladen. Der Medienwandel war da soweit weg wie ein Handschlag des nordkoreanischen Machthabers mit Südkorea. Heute stecken wir mittendrin – also im anhaltenden Medienwandel –, der Totengesänge auf Printmedien, der Mobile-Content-Revolution. Und der Mann in den USA schreibt (auf Twitter), anstatt zu reden.

Reden wir zu wenig? Schaut man sich Festnetz- und Mobilfunknutzung an, vielleicht. Wir tippen lieber und haben die Diktierfunktion zu schätzen gelernt. Stichwort: Medienwandel.  Doch was bedeutet das von Johann Gottfried Herder 1792 ins Deutsche übersetzte Zitat „Lerne schweigen, o Freund. Dem Silber gleichet die Rede, aber zu rechter Zeit Schwiegen ist lauteres Gold“ eigentlich? Auf den Punkt gebracht: Nicht alle, die reden, sagen auch etwas. 

Ob Podiumsdiskussion oder Bürgerdialog, Fishbowl oder World-Café, fünf TeilnehmerInnen eines internen Workshops oder 100 Anwesende mit Publikumsbeteiligung: Die Grundregeln für eine gelungene Moderation sind immer dieselben.

Sie langweilen ihr Publikum, beziehen es nicht ein, haben kein Konzept, keine Dramaturgie, reden an der Zielgruppe vorbei, haben kein Ziel vor Augen, bringen unterschiedliche Sichtweisen nicht auf den Punkt, verlieren sich … und damit auch die Gunst der Zuhörer. Als Journalist habe ich unzählige Diskussionen, Pressekonferenzen, Talk-Shows verfolgt – auf der Suche nach dem Neuen, dem Nachrichtenkern, der News. Als Wissenschaftler habe ich Vortragsmarathons hingenommen, die nur durch eine Höchstdosis Kaffee und Tabak sowie inspirierende Pausengesprächen den Biomechanismus aufrecht erhalten haben. Zugegeben: Bei beiden gab es gute, sehr gute Ausnahmen. Hier hatten Leute etwas zu sagen: Inhaltlich stark, nicht laut und schrill, aber überraschend, motivierend, voller Esprit und mitunter kreativ in der Darstellung. 

Die Faszination der Rhetorik hat mich gepackt. Ich möchte reden, nein: etwas sagen, Themen erstrahlen lassen, Empathie und Emotionen einbringen dort, wo es nötig und angebracht ist, aufrütteln und aufklären, Menschen ins Gespräch bringen, provozieren und versöhnen, hinterfragen und loben, Verborgenes zu Tage fördern und einfühlsam auf Vergangenes zurückblicken. Der Rest ist Schweigen, wie es in Shakespeares Hamlet heißt. Ja, auch das gehört dazu. 

Daher habe ich mich auf Wanderschaft begeben. Zunächst literarisch, dann aber auch praktisch. An der Berliner Schule für Journalismus und Kommunikation habe ich ein dreitägiges Seminar zum Moderieren bestritten. Zugegeben, ohne Erwartungen, aber mit Neugier. Die Seminarleiterin kam zu spät (schön, dass ich um vier Uhr aufgestanden bin), die Kaffeekanne war kaputt und konnte nur unter Einsatz mehrer Finger und dem Geschick vom Schlage der Olsen-Bande geöffnet werden. Super Einstieg. Die verspätete Vorstellungsrunde war kindisch. Auf den ersten Blick. Aber wie so häufig: Es lohnt der zweite. Am ersten Tag ging ich gespannt, am zweiten euphorisiert, am dritten begeistert. Ich moderiere seit mehreren Jahren Podiumsdiskussionen, Publikumsgespräche, Bürgerdiskussionen, Fachvorträge, wissenschaftliche Sessions. Ja, ich wurde bestätigt in meinem Tun. Und ja, ich habe etwas gelernt. Und, und ja: Ich gehe wieder hin. Lebenslanges Lernen ist wichtig für die eigene Entwicklung, aber auch Brianfood für unser Gehirn.

Auf der Metaebene hat es mich aber auch eines gelehrt: In der Public Relations und im Journalismus empfinden sich viele, die die deutsche Sprache halbwegs beherrschen als Öffentlichkeitsarbeiter und Autoren. Aber zu Moderationen und Reden gehört eben auch mehr als sich nur hinstellen und ein paar warme Worte, nette Fragen und launige Anmerkungen zu machen. Eine gelungene Veranstaltung, egal ob Diskussion, Keynote oder Lebensereignis (Hochzeit, Beerdigung, Kinderwillkommensfest oder Jugendweihe) lebt von der Dramaturgie, einem Redner, der im Stoff steht und das Publikum motiviert, und der Geschichten erzählen kann. Im Journalismus und in der PR nennen wir das Storytelling. Und ein Redner, der selbst nicht im Mittelpunkt steht, aber weiß um Martin Luthers Satz: „Tritt fest auf, mach’s Maul auf, hör bald auf.“ Denn jeder Moderator und Redner bringt auch seine Persönlichkeit mit ein. Es geht darum, authentisch zu sein. Der Babynahrungshersteller Claus Hipp hat das immer so schön in der Werbung formuliert: „Dafür stehe ich mit meinem Namen.“ Genauso so ist es, überzeugen Sie sich selbst – gerne persönlich, per Mail oder auch hier.

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